17. Oktober 2013 00:04
Angst vor der kalten Jahreszeit? Nein, die verspüre sie nicht, sagt Graziella Primosa - vielmehr habe sie "großen Respekt". Primosa kellnert in der mittlerweile rauchfreien "Destille". Detlef Petereit vom Aktionsbündnis "NRW genießt!" indes stinkt es schon länger: Er will das Rauchverbot kippen.
Von Felix Groß
Graziella Primosa kommt ins Grübeln und denkt für ein paar Sekunden nach: Ob sie angesichts des seit 1. Mai geltenden, strikten Rauchverbotes in Nordrhein Westfalen nun Angst vor dem Winter verspüre? Angst vor (zu) großen Geldeinbußen? Angst vor (zu) großem Besucherschwund? „Nein“, antwortet die Kellnerin aus der Bueraner Kult-Kneipe ‚Destille‘und fährt fort: „Ich habe großen Respekt vor dem Winter. Aber keine Angst.“
:: Mit dem strikten Gesetz stopfte die Landesregierung auch die letzten Schlupflöcher ::
Die Gastronomen im Ruhrgebiet, und die ‚Destille‘ darf an dieser Stelle als exemplarisches Beispiel dienen, sind alles andere als glücklich mit dem strikten Rauchverbot, das seit fünfeinhalb Monaten in ihren Räumlichkeiten herrscht. Die NRW-Landesregierung hatte mit diesem strengen Gesetzesentwurf auch die letzten Schlupflöcher der Gastwirte gestopft. Ausnahmen für „Raucherclubs“, Festzelte, abgetrennte Raucherräume oder Kegelbahnen: Vergangenheit, vorerst.
Denn diese Ausnahmen, sagt Heike Gebhard, Gelsenkirchener SPD-Landtagsabgeordnete des Wahlkreises 74 (u.a. Buer, Hassel, Scholven), "verstoßen gegen Wettbewerbsrecht." Das heißt: Wenn die Landesregierung Nebenräume als Raucherräume zulässt, kann jemand klagen, der diese räumlichen Möglichkeiten nicht hat. Das, so Gebhard, ist vielfach passiert: "Die Entscheidungen kamen alle aufgrund von Konkurrentenklagen zu Stande."
Rutscht die gute alte Eckkneipe, wo es Bierchen, Schnaps, Frikadelle, gemütliches Beisammensein - kurzum also: ein Stück Kultur gibt - nun also zusehends in den Abgrund?
:: Eine erste Wasserstandsmeldung wird's erst Mitte Dezember geben ::
Graziella, hier in der Destille nennen sie alle nur „Ella“, mag nicht so recht daran glauben. Die 24-Jährige, die sichtlich Spaß hat an ihrem Nebenjob, am Kontakt mit Menschen, ist schließlich nicht die einzige, die an der Destille hängt. „Unsere Stammkunden bleiben uns so oder so erhalten. Die halten zu uns“, sagt Ella anerkennend und fügt an: „Wenn Schalke spielt, sieht man hier auch mal das eine oder andere neue Gesicht.“ Es sind Sätze, die Zuversicht ausstrahlen, die Skepsis gleichzeitig beiseite wischen sollen. Und dennoch kann Ella ihre Sorgen nicht ganz verbergen – Stichwort: Winter. „Wir haben festgestellt, dass wir noch nicht richtig abschätzen können, wie es sich entwickeln wird. Ich denke, erst Mitte Dezember können wir noch mal darüber reden.“
Bei ‚Destille‘-Koch Ralf – im Übrigen ein Pott-Original, wie es im Buche steht – verursacht nicht nur diese Ungewissheit Bauchschmerzen. Vielmehr sind für ihn die eigenen Beobachtungen alarmierend. Zuletzt bemerkte er eine zusehends „unbehaglichere“ Atmosphäre unter den Gästen. „Wenn die Leute rauchen gehen, werden Gespräche unterbrochen. Gemütlichkeit und Kommunikation untereinander gehen verloren“, sagt Ralf und möchte den nächsten Gedanken gar nicht erst verbalisieren. Das „Bergstübchen“ und das „Haus Herder“ auf der Koloniestraße schließlich hat’s schon erwischt – und weil Ralf sich in der örtlichen Kneipenszene gut auskennt, weiß er: „Auch in Westerholt sind drei, vier Kneipen schon absolut am Limit.“
:: Der Trumpf der Destille ist ihr Ruf - und Schalke ::
Das jedoch, sagt Heike Gebhard, sei nicht erst seit dem 1. Mai so. "Das sogenannte Kneipensterben", argumentiert sie, "hat lange vor dem ersten Nichtraucherschutzgesetz begonnen." Freizeitverhalten und -interessen der Menschen hätten sich "sehr verändert. Darum haben wir ja heute mehr Speisegaststätten und Restaurants als Kneipen." Gebhard geht sogar so weit, den Wirten der Kneipen eine neue Ausrichtung ans Herz zu legen: "Einem Wirt, dessen bisheriges Konzept nicht mehr aufgeht, wird nichts anderes übrig bleiben, als zu überlegen, welche Angebote zeitgemäß sind."
Der Trumpf der Destille indes ist zweifelsfrei ihr Ruf – und der FC Schalke 04. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie es ohne den Bundesligisten um die Kneipe stünde. In unmittelbarer Nähe zur Veltins-Arena zieht die Kneipe auf der Kurt-Schumacher-Straße schließlich vor den Spielen etliche Knappen-Fans an: Und dann ist die Bude noch immer rappelvoll. Egal, ob mit Rauchverbot oder ohne. Ein Mutmacher in Zeiten, die für die Destille vielleicht noch nicht schwierig, aber allemal schwer vorhersehbar sind.
Denn wer geht schon bei Minusgraden vor die Tür, um zu rauchen? Bleiben die Gäste dann nicht doch lieber zu Hause? Werden irgendwann auch mal die Anwohner murren, wegen der Gesprächslautstärke der Gäste vor der Tür? Fragen über Fragen.
:: Ein Volksbegehren gegen das Rauchverbot ist schon in Arbeit ::
Detlef Petereit sucht mit seinem Aktionsbündnis „NRW genießt!“ nach Antworten. Er ist Koordinator dieses bislang weitgehend unbekannten Initiativkreises, selbst Ella war „NRW genießt!“ kein Begriff. Dabei dürfte das Anliegen ganz im Sinne der Wirte, Kellner und Köche sein: Petereit will ein Volksbegehren auf die Beine stellen, in der Endkonsequenz dann das strikte Rauchverbot kippen. Petereit musste selbst schon einmal einen Laden schließen, weiß, dass sich das nicht gut anfühlt: Seine Existenz zu verlieren, seine Mitarbeiter entlassen zu müssen. Natürlich geht es ihm im konkreten Fall erst einmal um die Aufhebung des Glimmstängel-Ausschlusses aus öffentlichen Räumen, doch überdies möchte er auch das Bewusstsein der Mitbürger für die „persönliche Freiheit“ schärfen. Diese sei „durch eine Litanei an Vorschriften“ mittlerweile zu stark eingeschränkt.
Weil nicht davon auszugehen ist, dass die rot-grüne Landesregierung das Gesetz von selbst korrigieren oder entschärfen wird, sind Petitionen, die in ein Volksbegehren münden, die letzte Patrone, auf die die Gastwirte hoffen können.
Heike Gebhard sieht dem Volksbegehren gelassen entgegen. "Mir sind die Bemühungen der Initiative natürlich bekannt." Sie gehe aber davon aus, dass "NRW genießt!" letztlich keinen Erfolg haben wird: "Da die Zustimmung zum Nichtraucherschutz, die vorher schon deutlich über 50 Prozent lag, in den letzten Monaten noch deutlich gestiegen ist. Selbst Raucher genießen inzwischen das rauchfreie Essen."
:: Logistische und materielle Basis ist nicht zu unterschätzen ::
Detlef Petereit hatte relativ fix über 4000 Unterschriften von potenziellen Unterstützern beisammen: Mehr als genug, um ein Volksbegehren zu beantragen. Das möchten Petereit und seine Mitstreiter in zwei, drei Wochen in Angriff nehmen, im Vorhinein aber nichts dem Zufall überlassen. Anträge auf Volksbegehren werden gern mal wegen fehlerhafter Formalia abgeschmettert, außerdem sei die „logistische und materielle Basis“, die man für ein solches Vorhaben aufbringen muss, nicht zu unterschätzen: „Ohne Geld können Sie so etwas nicht machen.“
Kommt es zum Volksbegehren, müssten Petereit und Co. 1.060.000 Unterschriften, also acht Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung auf ihrer Seite wissen, um „im Rennen“ zu bleiben. Bewegt sich die Landesregierung dann trotzdem nicht, wovon Petereit ausgeht, käme es gar zum Volksentscheid.
Zukunftsmusik, vorerst.
Erstmal heißt es: Bibbern vor dem Winter. Und zwar nicht nur wegen der Kälte.
Karin Eimanns 17.10.2013, 15:42:56 Uhr
Wenn Sie so weit sind mit dem Volksbegehren dann informieren Sie mich bitte. Habe selber eine Kneipe in Kleve und würde gerne mit sammeln! LG Karin
herr selahattin köse 28.10.2013, 07:01:01 Uhr
dank den sallafisten!!!!!!!!!!!!
Medoune 25.12.2013, 19:14:52 Uhr
c4hnlich, wie im Hochschulsystem wurden auch die Gymnasien einer Geschwindigkeits-Reform uzenrtogen. We4hrend in den meisten ostdeutschen Bundesle4ndern 12 Jahre bis zum Abi-Abschluss Gang und Ge4be sind, waren es in den westdeutschen Le4ndern meistens 13 Jahre. Zu dieser Marke will das Volksbegehren in Niedersachsen zurfcck kehren; und bewegt sich damit innerhalb eines Themas, das die Deutschen allgemein stark besche4ftigt: Bildung. Hier scheint etwas im argen zu liegen. Sonst wfcrden sich nicht so viele Bfcrger z.B. den bundesweiten Bildungsstreik unterstfctzen.
Hier ist es
InfoBox
Ende 2009 hatten die Bürger in Bayern bereits Erfolg mit ihrem Volksbegehren, dessen Ziel es war, ein striktes Rauchverbot einzuführen. Die Landesregierung lehnte das Volksbegehren ab, es kam zum Volksentscheid - und auch bei dieser Wahl am 4. Juli 2010 schafften es die Verfechter des Nichtraucherschutzes, für eine Mehrheit zu sorgen. Seither herrscht in Bayern ein striktes Rauchverbot.
Bei Schalke-Spielen ist die Destille sehr gut gefüllt - unter der Woche kommen hauptsächlich Stammkunden vorbei.